Mose 16, 13 – Jahreslosung 2023

Das Bibelwort für das neue Jahr klingt gut, menschenfreundlich und vertrauenerweckend. Es steht am Ende einer Geschichte aus dem ersten Buch Mose. Und die ist erst mal gar nicht gut, menschenfreundlich und vertrauenerweckend.
Es ist die Geschichte von Hagar. Sie war immer nur zweite Klasse. Höchstens.
Keine freie Frau, sondern eine Sklavin. Aus einem anderen Land, Ägypten. Von ihrer Herrin ausgeliehen als Sexualpartnerin und Leihmutter. Tolle Zustände! Später wird ihr Sohn Ismael geboren. Er und seine Nachkommen gelten später als „die Anderen“. Auch nur zweite Klasse. Höchstens.


Weil die Menschen damals kaum anders waren, fühlten und handelten als heute, ging diese Geschichte im Hause Abrams und Sarais (denn da geschah das alles) nicht lange gut. Sobald Hagar schwanger geworden war, setzte der Kampf zwischen den beiden Frauen ein. Und Hagar, auch von Abram nicht beschützt und als Sklavin natürlich in der schwächeren Position, flieht in die Wüste.
In die Wüste hineinwandern, schwanger, immer weiter: glatter Selbstmord. Das weiß Hagar auch. Dann findet sie einen Brunnen. Wasser, lebensrettend, lebenserhaltend. Und ein Bote Gottes ist da, spricht sie an, hört ihre Geschichte an, führt sie ins Leben zurück. Ihre Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie wird gesehen, wahrgenommen, wichtig genommen. Für sie wird eingegriffen, ihr Schicksal gewendet. Sie ist nicht nur zweite Klasse.“Du bist ein Gott, der mich sieht! Ich habe den gesehen, der mich sieht“, kann sie jetzt sagen. Und der Ort bekommt einen Namen: „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht.“


Du bist ein Gott, der mich sieht! Mir gut, menschenfreundlich, mich einladend, dir zu vertrauen. Ich werde wahrgenommen, bin wichtig. An dem Ort, wo ich bin und so wie ich dran bin. Vielleicht fühle ich mich von Gott und den Menschen verlassen. Aber für mich wird eingegriffen, mein Schicksal gewendet. Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen, und wir sind es auch!“ (1. Johannes 3, 1)
Und auf keinen Fall zweite Klasse und nicht wert, dass groß auf uns geachtet wird.
Ein unerschwingliches, verrücktes, unrealistisches Vertrauen bei so viel bösen und menschenverachtenden Geschichten damals wie heute?


Im zu Ende gehenden Jahr waren auf der Erde mehr Flüchtlinge unterwegs als jemals zuvor. Sehr oft Frauen allein, schwanger oder mit Kindern…
Wer zeigt ihnen, dass sie gesehen, geachtet, wertgeschätzt sind und nicht einem ungewissen Schicksal überlassen?
Der Staat mit seinen Hilfen schafft das alleine nicht. Auch wenn sie bei uns einem Teil der geflüchteten Menschen ziemlich unkompliziert in vollem Umfang gewährt werden, bis zur eigenen Wohnung mit der nötigen Grundausstattung. Sie brauchen es, dass sie gesehen werden, nicht übersehen oder übergangen, mit den Schäden, die sie mitschleppen und ihrem zerstörten Vertrauen. Da braucht es Menschen wie den Boten am Brunnen. Aufmerksame, menschliche, vertrauenswürdige. Und die gibt es wunderbarerweise. Ob es oft die sind, die von sich sagen würden: „Ich habe ja den erkannt, der mich sieht!“?
Die bösen, menschenverachtenden, gemeinen, Leben und Vertrauen zerstörenden Geschichten von Kampf und Flucht sind noch nicht vorbei.


Wie wird das alles weiter gehen?

„Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!
Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!“

Bertolt Brecht

„Ich habe den getroffen, der mich sieht!“ So soll’s sein und werden!

Mit dem wirklich wohltuenden, menschenfreundlichen und vertrauenerweckenden Bibelwort grüßen zu Weihnachten und zum neuen Jahr Ihr und euer Pastor Stefan Maser mit den übrigen Mitarbeitenden der Gemeinde

(Foto: Hans Lachmann, https://medienpool.ekir.de/archiv/#1666380327597_1)

Anders sein möchten sicher viele Menschen. Entspannter, gelassener und einfach mit sich im Reinen wie das lebensweise kleine Einhorn, das ganz selbstverständlich mit den Fledermäusen „abhängt“ – und wie hoffentlich auch sein kleiner Träger.
Viele erwarten auch von Christinnen und Christen, dass sie irgendwie „anders“ sind und leben. Klar, die haben ja schließlich die Zehn Gebote! Das klingt natürlich nicht sofort verlockend. Immerhin fangen acht der zehn mit „Du sollst nicht“ an. Ist Christsein vielleicht doch eine Kombination von allem, was verboten ist? Und alles, was Spaß macht, ist bestimmt dabei?
Auf diese Fragen gibt es eine alte, aber ziemlich geniale Antwort. Anderssein der Christinnen und Christen entsteht nicht aus einer Liste von Pflichten und Verboten, sondern aus – Dankbarkeit! Und auch nicht aus pflichtgemäßer Dankbarkeit. Wie der Dankbrief an die alte Tante für ein gar nicht so sehr passendes Geburtstagsgeschenk. Oder das bittere „Aber man muss ja dankbar sein …“ im Krankenhaus, obwohl eigentlich gerade Angst, Wut und Verzweiflung viel stärker sind.
Der Heidelberger Katechismus, entspannte 510 Jahre alt, packt jedenfalls die ganze Frage nach dem „anderen“ Leben der Christinnen und Christen unter die Überschrift „Von der Dankbarkeit“ – und die Zehn Gebote gleich mit.
Die beiden Verfasser mussten damals noch mit einer anderen schlauen Frage umgehen: Warum überhaupt anders leben, warum noch gute Werke, wenn Gott doch in Christus Leben und Seligkeit schon geschenkt hat?
Antwort: aus Dankbarkeit! Und die, nach biblischem Vorbild, echt und lebendig, so etwa wie frisch verliebt:
„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103, 2)
Das ist alles andere als ein erdrückendes „Gottesbild“ und keine saure Pflicht. Von diesem Christsein muss keine befreit werden und keiner auf die Couch der Psychiaterin.
„Herzliche Freude in Gott durch Jesus Christus haben und Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben.“ Freude, Lust und Liebe! Steht da wirklich (Heidelberger Katechismus Frage 90).
Und dann kommen die Zehn Gebote dran. Aber nicht als „Spaßbremse“, zum Beispiel damit Lust und Liebe nicht übertrieben werden. Sondern als konkrete Freiheit zum Anderssein. Warum?
Wenn irgendwo „anders leben“ oder „gut sein“ erwartet wird, dann hat der oder die, die da sprechen, meistens schon eine klare Meinung, was „in Zeiten wie diesen“ christlich, gut und vernünftig ist. Nämlich seine oder ihre eigenen Forderungen! So höre und lese ich es jeden Tag.
Nein, nein, so nicht! Sondern „aus wahrem Glauben nach dem Gesetz Gottes ihm zur Ehre“. Und nicht „auf unser Gutdünken oder auf Menschengebote gegründet“!
Und Gottes Gebote sind bekannt: Als erstes, keine anderen Götter zu „haben“.
Damit ist nicht die Debatte gemeint, wie viele Götter es „gibt“ oder wie das mit den anderen Weltreligionen ist.
Praktisch gibt es sehr viele Mächte und Gewalten, die geliebt, gefürchtet und geehrt werden, weil von ihnen alles Gute, erfülltes Leben und Anerkennung erwartet werden.
Das fängt mit der Pullovermarke an, die eine Grundschülerin haben „muss“, um sich zwischen die Gleichaltrigen zu trauen. Und es hört da noch lange nicht auf. Mit lebens- und schöpfungsverwüstenden Folgen.
Gleich im ersten Gebot steht das Befreiungsprogramm: den Gott und Vater Jesu „recht erkennen, ihm allein vertrauen und in aller Demut und Geduld von ihm allein alles Gute erwarten.“(Frage 94) – Liebe und Freiheit eben.
Und dann kommt schon bald die „zweite Tafel“: „was wir unserem Nächsten schuldig sind“. Aber eben auch mit Freude, Lust und Liebe!
Und da darf man auch mal konkret nach den Früchten fragen, die da wachsen und die andere Menschen ernten können.
Das war nämlich der nicht so ganz ungefährliche Gedanke der beiden Verfasser, wie man vielleicht eigenen und fremden Glauben erkennen kann: am Entstehen neuer Dankbarkeit und neuen Gotteslobs (Frage 86).
Anders sein und leben, irgendwie weiser. Und das nicht nur wie ein kleines pummliges, aber zufriedenes Einhorn?
Ich wünsche es mir und uns allen zum anders- und neue-Menschen-Sein:
„Herzliche Freude in Gott durch Christus und Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben!“ (Frage 90)

Mit den beiden damals blutjungen Verfassern des Heidelberger Katechismus,
Zacharias Ursinus und Caspar Olevian, und den übrigen Mitarbeitenden der Gemeinde grüßt herzlich Ihr und euer

Pastor Stefan Maser


Mehr davon: Okko Herlyn, Was nützt es dir? Kleine Einführung in den Heidelberger Katechismus (Neukirchen 2013)


Ein Monatsspruch aus dem Buch Sirach? Gehört das denn zur Bibel?
Ja, es ist bereits in den alten griechischen und lateinischen Übersetzungen des Ersten Testaments enthalten. Luther hat es trotzdem als „Apokryphe“ aus dem Kreis der verbindlichen Schriften ausgeschlossen und einer Extragruppe zugewiesen, weil ihm das hebräische Original des Buches fehlte.
Später verschwanden diese „Alttestamentlichen Apokryphen“ dann aus vielen evangelischen Bibeldrucken.

Fromme junge Leute, vor allem in den USA, tragen es als Abkürzung auf Armbändern oder auf der Brust: „WWJD? What would Jesus do, was würde Jesus tun?“
Wer das für die Friedensethik überlegt, kommt auf „Frieden schaffen ohne Waffen!“ oder den absoluten Gewaltverzicht. Und fordert damit im Hier und Jetzt, was nach der Bibel dem Kommen Gottes vorbehalten ist: wunderbarer, erlösender, die Vernunft verblüffender Friede.

Wir leben im Unfrieden, mit Bildern und Nachrichten aus einem mit größter Grausamkeit geführten Angriffskrieg und entsetzlichen Kriegsverbrechen gar nicht weit von uns. An unseren Orten oder sogar in unseren Häusern leben wir mit Menschen zusammen, die diesem Schrecken nur knapp entkommen sind, denen ihr ganzes bisheriges Leben gewaltsam genommen wurde und die in großer Angst sind und Sorge um Menschen, die noch dort sind.

Und dann kein Selbstverteidigungsrecht? Keine Unterstützung für ein gegen alles Recht angegriffenes und sich verzweifelt wehrendes Volk mit dem, was sie jetzt einfach brauchen? Friedensethische Prinzipienreiterei hilft da keinem weiter und steht der Sachlichkeit, der Hilfe, der Vernunft und sogar der Liebe im Weg.

Und sie vergisst, dass ich nicht Jesus bin! Zwischen Schöpfer und Geschöpf ist und bleibt ein großer Unterschied. Der Glaube, auch der an Jesus Christus, darf niemals die warme Jacke werden, die ich mir anziehe – und die, die draußen sind und bitterlich frieren, gehen mich danach nichts mehr an. Ohne die Wiederherstellung eines Mindestmaßes an Gerechtigkeit wird das noch nicht mal mit dem irdischen Menschenfrieden was werden. Und Gerechtigkeit wird im Krieg nicht ohne Gegengewalt und Widerstand.
Was würde Jesus tun? Dass ich bei alledem jemals einfach wie Jesus handeln werde, bleibt ein frommer Traum und ein großer Irrtum.

Darum gehört zum Glauben für Herz und Hand das Gebet: die Klage vor Gott, die unablässige Fürbitte für die Leidenden und vielleicht sogar der mit-leidende Hilfeschrei, dass Gott selbst den Tyrannen und Gewalttätern ein Ende machen möge. Wenigstens ihrer Tyrannei und ihrer Gewalt.

Und ich hätte auch einen Vorschlag für eine andere Abkürzung:
„WWJ S ? What would Jesus SAY, was würde Jesus SAGEN?“ Oder noch besser: Was HAT Jesus gesagt? Jesus ruft Menschen in seine Nachfolge. Aber sie werden dabei nicht seine Nachfolgerinnen und Nachfolger, die das weiter machen, was er getan hat. Sie werden nicht von ferne dasselbe, was er ist (außer, ganz geschenkweise, geliebte Kinder Gottes). Sondern sie bleiben Hörerinnen und Schüler ihres „obersten Propheten und Lehrers“ Jesus Christus, „der uns Gottes verborgenen Rat und Willen von unserer Erlösung vollkommen offenbart hat“ (Heid. Kat. Fr. 31).
Wirklich nicht zum selber Schaffen!

Und er gibt ihnen was zum Glauben, Hoffen und Lieben für ihr Herz und was zum Beten und Tun für gefaltete und anpackende Hände. Auch in diesem nun auch in unserer Weltgegend noch einmal so sehr und schrecklich anders gewordenen Jahr. Mit leidenden, verletzten, beraubten, verzweifelten, einfach „unter die Räuber gefallenen“ Menschen als Brüder und Schwestern.

Mit den anderen Mitarbeitenden der Gemeinde grüßt herzlich Ihr/Euer

Pfarrer Stefan Maser

Und wenn an meinem Orte/ sich Furcht und Schrecken find’t,/
so seufzt und spricht er Worte,/ die unaussprechlich sind/
mir zwar und meinem Munde,/ Gott aber wohl bewusst,/
der an des Herzens Grunde/ ersiehet seine Lust.
Mein Herze geht in Sprüngen/ und kann nicht traurig sein,/
ist voller Freud und Singen./ sieht lauter Sonnenschein./
Die Sonne, die mir lachet,/ ist mein Herr Jesus Christ;/
das, was mich singen machet,/ ist, was im Himmel ist.

Paul Gerhardt – eg 351

Sarah, die Frau Abrahams, lacht. Einmal ungläubig, als sie hört, dass sie noch ein Kind bekommen soll. In ihrem Alter! Dann als das Kind da ist. „Und doch! Gott hat mir ein Lachen zugerichtet!“ (1. Mose 18 und 21). Einige unter uns sind 90 und älter.
Einige junge Frauen freuen sich auf ein Kind oder haben schon eins auf dem Arm. 90 und schwanger ist niemand.
Aber Lachen brauchen wir auch. Denn Lachen ist Freiheit. Wie Singen oder Musizieren. Reiten ohne Sattel, Motorradfahren (Entschuldigung, Greta!) oder Fliegen am Kettenkarussell. Wie der Glaube überhaupt. Weil der es mit Gott zu tun hat, der immer „noch manchen Trumpf in seinem Skatblatt hält“ (Gottfried Benn). Finden, zeigen und leben wir die Gründe zum Lachen, auch in unserer Gemeinde? Mit fröhlichen Menschen, die zu Gott gehören, befreiendem Glauben, bedeckten Sünden (Psalm 32, 1) und festem Vertrauen auf Gottes Gnade? Und lachen auch selbst wirklich herzlich mit? Das ist eine tägliche Aufgabe. Aber eine, die sich echt und ehrlich lohnt.
Das Gebet aus der Church of Scotland, formuliert offenbar aus der Sicht einer jüngeren Frau, ist schon ein Ding. Vor allem mit der Pointe am Schluss: 90 und schwanger! Ob es eine Chance hätte, in eine „Agende“ unserer Kirche zu kommen, eins von den großen Büchern, aus denen der Pastor im Gottesdienst liest? Ich werde es vorschlagen für die Neubearbeitung der „Reformierten Liturgie“, die gerade im Gange ist. Die Leitung der Neuausgabe hat übrigens eine kaum dreißigjährige Frau aus Halle. Dann hat das Sarah-Lachen ja vielleicht eine Chance.
Die wenigen Male, dass in der Kunst Jesus herzlich lachend dargestellt wurde, gab es erstmal einen Skandal. Warum eigentlich? „Ich halte Jesus für den glücklichsten Menschen, der je gelebt hat. Himmel und Erde waren sein, aber er ‚besaß es nicht mit Eigentum‘“. Hat eine Theologin gesagt, die auch einige kleine Skandale ausgelöst hat. Aber Paulus (oder die Gemeinde, von der er das Lied abgeschrieben hat) ja auch schon: „Er behielt es nicht als seine Räuberbeute!“ (Phil 2, 6) Und Johannes: „Er kam in sein Eigentum. … Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er.“ (Joh 1, 11+12) Soll er dabei nicht fröhlich gewesen sein und gelacht haben?
Wir brauchen Lachen. Wir haben die besten Gründe dazu.
Lachen Sie mit, auch in diesem noch immer ziemlich besonderen und nicht unbelasteten Frühjahr und Sommer 2021?
Mit den übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinde grüßt
Ihr und euer

Pfarrer Stefan Maser

Ich habe genug
Von freudlosen Heiligen
und säuerlicher Religion.
Ich habe genug
von Sündenschnüffelei
und Zweifel an der Gnade
Ich brauche eine Portion Lachen, Herr,
die Sorte, die du Sarah eingepflanzt hast.
Aber, bitte, lass mich nicht warten,
bis ich neunzig und dann schwanger werde.

(Church of Scotland, Northumbria Community, Celtic Prayer Book Bd. 2)

„Geh hin und sieh, ob’s gut steht um deine Brüder und um das Vieh!“

(Losungswort für den 1. März 2021)

Das lag dem Vater der ganzen großen Familie natürlich am Herzen. Und der Sohn, knapp 18 Jahre alt, nimmt den Auftrag an und geht los. Es ist eine abenteuerliche Reise, schließlich noch über einen Gebirgszug mehr. Menschen und Herden waren weitergezogen. Aber der Auftrag ist zu schaffen. Da sind sie, alle wohlauf!
Dann bricht die menschliche Katastrophe los: Neid, Missgunst, Hass, Überheblichkeit, alte Vorwürfe, Lüge, das nagende Gefühl, selbst immer zu kurz zu kommen. Um ein Haar hätten die eigenen Brüder den jungen Mann ermordet. Der Einspruch des einzigen Besonnenen ist schwach, aber er verhindert das Schlimmste. Der Bruder wird in eine Erdhöhle gepackt. Das ist auch ganz klar lebensgefährlich. Und dann geben sie ihn Menschenhändlern mit. Es folgen zwölf rechtlose Jahre in einem fremden Land. Der Vater hält ihn für tot.


Alles ist sehr viel anders in diesem anderen Land. Fremde Gesetze, ein ganz anderes Bodenrecht. Ein anderes Wirtschaftssystem mit einer umfangreichen staatlichen Vorratswirtschaft. Der junge Fremde landet zwischendurch unschuldig im Gefängnis. Aber er hat große Begabungen und Fähigkeiten. Die fallen wieder auf, er setzt sie ein und steigt auf zum einflussreichen Regierungsberater. Er hilft entscheidend mit, dass das Land eine bedrohliche Krise besteht. Ob es auch so gut ausgegangen wäre, wenn sie ihn dort nicht gehabt hätten?
Einige Jahre darauf trifft die Krise sein Heimatland. Es ist nicht so gut vorbereitet. Die Familie schickt die stolzen, missgünstigen, verlogenen und rücksichtslosen Brüder los, um mit den letzten Rücklagen im Nachbarland Getreide einzukaufen.


Es gibt einige Verwicklungen. Die menschliche Katastrophe in der Familie wirkt bei allen Beteiligten nach. Aber der Bruder in der Fremde sorgt nun auch für seine eigene Familie. Er verschafft ihnen Hilfe und schließlich eine menschenwürdige, geschützte Stellung und Rechtssicherheit. All das, was er selbst so lange nicht hatte.
Jetzt steht es endlich wirklich gut um seine Brüder und das Vieh. Auch der alte Vater erlebt es noch mit. Gott sei Dank!
Schon erkannt?


Das ist, in kurzer Zusammenfassung, die Geschichte von Josef und seinen Brüdern aus dem Alten Testament. Nachzulesen im 1. Buch Mose Kapitel 37-50. Sie ist rund 3000 Jahre alt, aber sehr aktuell. Sie erzählt von gefährlichen Krisen. Von Begabungen und Möglichkeiten, sie zu bestehen und andere Menschen zu schützen und zu retten. Sie erzählt, wie das auch unter ganz fremden, ganz neuen Bedingungen gelungen ist. Ägypten war doch wirklich ein merkwürdiges Land! Sie ist voller Mut zum Neuen, zum vernünftigen Handeln, zur Wissenschaft. Sie ist überraschend aufgeklärt, aber nicht von ferne gottlos.
Denn sie zieht aus allem den Schluss: „Gott gedachte, es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“ (1. Mose 50, 20)


Aber dabei kommt es darauf an, dass Neid, Missgunst, Hass, Überheblichkeit, Lügen, das nagende Gefühl, selbst immer zu kurz zu kommen, keinen Raum gewinnen. Die verderben nämlich regelmäßig alles.
Das Vorbild ist Josef. Obwohl der am Anfang auch ziemlich überheblich war und bestimmt kein Unschuldslamm.
Von ihm heißt es: „Komm, ich will dich zu ihnen senden.“
Er aber sprach: „Hier bin ich!“ (1. Mose 37, 13)
Später hat er dann seine Begabungen erkannt, Hilfe und Bewahrung erfahren. Ganz schön große Möglichkeiten hat er in seinen Händen. Und er sagt: „So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen.“ Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen. (1. Mose 50, 21)

In einem noch immer sehr viel anderen Jahr mit einigem an Lasten, Sorgen und Herausforderungen unter uns – und vielen Chancen, füreinander da zu sein, grüßt mit den übrigen Mitarbeitenden der Gemeinde
Ihr und euer

Stefan Maser

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Für viele sind diese Weihnachts- und Neujahrsstrophen von Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) ein Lieblingslied. Sie verwahren eine Karte mit den Worten oder verschicken sie als Trost und Ermutigung. Andere halten die „guten Mächte“ eher für einen schönen Traum. Bonhoeffer schrieb diese Verse in den letzten Tagen des Jahres 1944 als Gefangener in einer Kellerzelle in Berlin. Zum Lied wurden sie erst Jahre später. Der hochbegabte junge Theologe (in seiner Familie war man „spitze“ auf jedem Gebiet) hatte sich früh dem politi-schen Widerstand gegen Hitler angeschlossen. Für einen Lutheraner war das wirklich nicht naheliegend. Nur sehr wenige gingen diesen Weg. Bonhoeffer wurde verdächtig und kam im April 1943 ins Untersuchungsgefängnis in Tegel. Die Häftlinge dort waren ohne Schutzräume den Bombenangriffen auf Berlin ausgesetzt. Ihr Schreien und ihre Zusammenbrüche steckten Bonhoeffer in den Knochen.
Nach dem Attentat auf den Diktator am 20. Juli 1944 und einem Dokumentenfund in Zossen, der das Netz des Widerstandes erkennen ließ, wurde Bonhoeffer in den Keller des „Reichssicherheitshauptamtes“ verlegt. Ihm war klar, dass er keine Aussicht auf Freilassung und Überleben mehr hatte. Die Verse zum Jahreswechsel im Brief an seine Verlobte sind der letzte längere Text von ihm. Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg in Bayern ermordet.
Die schönen Worte von den „guten Mächten“ sind also von Anfang bis Ende „trotzdem-Worte“ und „Glaubenswiderstand“. Von einem Einzelnen in düsterer Lage in der ersten Strophe. Als Einladung und Ermutigung für viele in den folgenden.
Trotzdem-Glaube und Glaubenswiderstand halten sich an Gottes Wort: „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet“ (Jesaja 66, 13). Und an die Zusage Jesu, sein letztes Wort nach dem Matthäusevangelium: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28, 20).
Und das genügt. Als Trost, als Ermutigung – und als ziemlich klarer Wegweiser, was ich denn jetzt tun soll. Und was ich antworten muss auf einiges, was rundherum zu hören ist.
Gut zu wissen, dass diese schönen Worte wirklich nicht bei „Schönwetter“ entstanden sind. Dann können sie mir vielleicht mehr helfen, wenn bei mir und um mich herum nicht nur „Schönwetter“ ist. Zum trotzdem-Glauben. Und zum Widerstehen.
Zur Advents- und Weihnachtszeit und zum neuen Jahr grüßt mit den anderen Mitarbeitenden der Gemeinde Ihr und euer

Pfarrer Stefan Maser

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
(eg 65/ 652)